Holger Stürmann und Dr. Matthias Wilkening im Gespräch über das neue Fachkrankenhaus für die Seele.
Stürmann:
Das Haus ist großartig! Es ist eines der modernsten psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachkrankenhäuser Deutschlands und als Krankenhaus der Pflichtversorgung wirklich einmalig.
Der Neubau trägt klar die persönliche Handschrift von Dr. Wilkening. Was Patienten dort optisch und haptisch erfahren, ist wirklich sehr besonders.
Welche Ziele haben Sie mit dem Neubau verfolgt?
Dr. Wilkening:
Wenn es einem schon schlecht geht, soll es wenigstens nicht an der Unterbringung mangeln.
Ziel war es daher, für dieses Zuhause auf Zeit ein anregendes und vielseitiges Gebäude als heilungsförderndes Umfeld für Körper, Geist und Seele mit optimalen Therapiemöglichkeiten zu gestalten, in welchem den individuellen Bedürfnissen und Besonderheiten der Patientinnen und Patienten Rechnung getragen wird.
Wie sieht das konkret aus?
Stürmann:
Alle Patientenzimmer liegen zum Beispiel im Außenbereich, haben große Fenster, Tageslicht und Landschaftsblick. Es gibt Sicht- und Lichtachsen. Die Fenster laden mit ihren breiten Fensterbänken über der Heizung zum Sitzen ein. Stimmungsvolles, warmes Licht findet sich sowohl in den Patientenzimmern als auch in Gemeinschafts- und Therapieräumen. Und wir haben spezielle Bodenbeläge und Akustikdecken.
Dr. Wilkening:
Ja, das ist heilende Architektur. Damit bringen wir im übertragenen Sinne Licht ins Dunkel. Das ist wichtig, denn wo es hell ist, geht es den Menschen besser. Das Licht spielt gerade in der dunklen Jahreszeit eine wichtige Rolle. Über die gesamten Flure führt daher ein Lichtband, das immer den Eindruck von natürlichem Licht vermittelt.
Aber die neue Klinik besticht ja nicht nur durch die Architektur …
Stürmann:
Richtig, unser Konzept fußt auf drei Säulen. Da ist erstens die heilende Architektur. Zweitens wollen wir die Patienten in Bewegung bringen und sie motivieren, freiwillig aktiv zu werden. Sie genießen den Schutz und persönlichen Behandlungsrahmen auf Station und können zudem viele Therapieangebote außerhalb der Station im selben Gebäude wahrnehmen. Die Patienten gehen zur Therapie, als wenn sie zur Arbeit gehen. Dieses Konzept ist an der Lebensrealität orientiert und bereitet gezielt auf den Alltag vor. Und drittens öffnen wir das Klinikgebäude bewusst nach außen. Unser Restaurant mit der einzigartigen Lichtkuppel von James Turrell werden wir für alle öffnen. Das Besondere: Kunstinteressierte kommen in ein Krankenhaus, um sich Kunst anzuschauen.
Dr. Wilkening:
Damit schleifen wir die Mauern um die Psychiatrie, die in den Köpfen der Menschen bestehen. Die Herausforderung war, den Spagat zwischen Wohnen und stationärem Aufenthalt hinzubekommen. Unser Krankenhaus ist kein Zuhause, aber so gestaltet, dass sich die Patienten wohlfühlen und Anregung bekommen. Wir wollten Anreize schaffen, damit sie die Schwelle zur Psychiatrie überschreiten und sich bei uns mit ihren Defiziten auseinandersetzen. Was die Patienten bei uns erleben, sollen sie mit in den Alltag nehmen. Wen sie sich zum Beispiel in der Kunsttherapie mit einfachen Mitteln ausdrücken, können sie das zu Hause fortsetzen.
Stürmann:
Oder sie erleben, wie prima man sich beim Sport auspowern kann und wie Bewegung die dunklen Wolken im Kopf vertreibt. Auch das Gebäude selbst gibt Impulse. Depressive Menschen erleben vielleicht, dass ein ordentliches, strukturiertes und helles Wohnumfeld sehr angenehm ist.
Konnte der Architekt alle Ihre Wünsche umsetzen?
Dr. Wilkening:
Eigentlich müsste jedes Zimmer individuell sein. Aber die Pläne im Architektenbüro sehen das nicht vor. Da orientiert sich alles an so Dingen wie Wasserleitungen. Unser Ansatz ist anders. Ich finde es zum Beispiel schön, wenn man auf der Toilette sitzt und dabei rausschauen kann, aber das lässt sich nicht realisieren.
Stürmann:
Ja, Architekten denken in praktikablen Strukturen und möchten es möglichst einheitlich. Unsere Gebäude sind von ihrer Struktur her alle gleich, jede Station hat aber ihr eigenes Farbkonzept. Patienten sind bei uns im Schnitt zwischen einem Monat und 22 Monaten. Wohnen auf Zeit muss anderen als nur rein funktionalen Ansprüchen genügen. Es muss auch heimelig sein.
Dr. Wilkening:
Nein, nicht heimelig! Es soll anregend sein!
Daher haben wir viel Wert auf kleine Gestaltungsmerkmale gelegt. Architekten entdecken darin Brüche, für uns gehört das zum neuen Behandlungskonzept.
Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Stürmann:
Es gibt zum Beispiel Treppen mit einem runden und einem eckigen Handlauf. Die fallen erst auf, wenn man sie benutzt. Oder der Plastikhund auf dem Mähroboter auf dem Dach. Der fährt den ganzen Tag hin und her – und das, obwohl da Kunstrasen ist. Ein anderes Beispiel sind unsere öffentlichen Toilettenräume. Die Wände sind schwarz und die Toilettenkabinen ringsum verglast. Wer hineingeht wird von außen gesehen. Erst wenn man abschließt, werden die Wände milchig.
Dr. Wilkening:
Oder der Verbindungsgang zwischen zwei Gebäuden. Der ist extrem einfach gehalten, hat eine billige Baubeleuchtung, rohe Decken und sichtbare Kabel. Alles wirkt unfertig, und das bleibt auch so. Da sollen sich die Menschen nämlich nicht lange aufhalten, sondern einfach nur durchgehen – und das funktioniert. Zudem haben wir noch die künstlichen Pfützen auf dem Asphalt vor dem Klinikeingang, die immer da sind, auch wenn es gar nicht geregnet hat. All das soll zum Nachdenken und Wundern anregen und die Menschen miteinander ins Gespräch bringen. Und dann wird weitererzählt, wie verrückt es bei uns zugeht (lacht)!
Und hier gibt es noch mehr Einblicke in unser Fachkrankenhaus für die Seele:
brandherm + krumrey interior architecture
Ein Team aus Innenarchitekten, Architekten und Grafikern sorgte für die Umsetzung individueller Gestaltungsideen.
arcade-xxl.de
arcade ist die Interieur-Fachzeitschrift für das Premium-Segment Design.
modulor.ch
Informative und überraschende Geschichten rund um das Thema Architektur.